Ein Tag in den 90ern

  • Ich fahre mit dem  Zug ins Tal zur Platte. Ich habe keine Lust bis abends zu warten, ohne genau zu wissen, ob einer von den Jungs nach Heerlen fährt. Außerdem will ich jetzt breit werden, nicht erst heute abend. Ich bin kein Plattenjunk, die Chancen auf einen totalen Abzug stehen fifty-fifty, den auf gutes  Material zwanzig-achtzig. Eigentlich Wahnsinn! Aber manchmal fasziniert mich auch das Plattenfeeling, denn das ist der WAHRE Junk. Außerdem habe ich 500 D-Mark in der Tasche, die letzte Kohle des Kredos, den mir die Sparkasse bewilligt hat. Zum Glück ist es noch möglich einen Kredit zu bekommen, solange man einen Job und keinen negativen Schufaeintrag hat. Dann erfindet man noch irgendeinen Schwachsinn, warum man gerade Geld benötigt, ich erzählte was vonwegen neuen Möbeln oder so. Dass man danach ein paar Jahre lang ne monatliche Rate in Höhe von mehreren Hundert D-Mark abzustottern hat, verdrängte ich erfolgreich. Wie gesagt, ich will JETZT breit werden, um die nächsten Jahre werde ich mich später kümmern. Ich bin schon immer ein cleverer Junge gewesen, wenn es um Finanzen geht. Andererseits-was gibt es Sinnvolleres als junger Kerl in den Zwanzigern, als seine ganze Kohle bis auf den letzten Pfennig in den Erwerb und Konsum von illegalen harten Drogen zu stecken? Würde ich mich mehr über den tiefergelegten GTI als über den Geruch von fünf Gramm Hollandschore freuen?

Mit fünf Blauen ist das Risiko wesentlich geringer Zitronentee zu kaufen. Es bleibt genug Spielraum für ein Win / Win-Geschäft. Der Ticker kann sich einen guten Gewinn abzwacken und trotzdem noch ein paar Gramm Stoff liefern. Mit nem Fuffi kann man sich den Weg zur Platte gleich sparen. Und tatsächlich, ein junger Türke vermittelt mir einen Fünferbeutel. Natürlich nicht wirklich fünf, aber trotzdem ok. Irgendwo in Elberfeld in einem Abrißhaus setzen wir uns mehrere Knaller. Für das halbwegs erfolgreiche Geschäft hat sich Ali ne Belohnung verdient. Wasser ziehen wir aus ner Pfütze, Löffel liegen da genügend rum, Pumpe und Asco haben wir vorher am Gleis gecheckt, wo man alte gegen neue Spritzen tauschen kann. Dann bekomme ich Bock auf Weiß. Also ab mit dem Zug nach Düsseldorf, weil der Türke da angeblich auch ne gute Coca-Connec hat. Auf dem Weg dahin auf dem Klo noch einen gemacht. In D’dorf zieh ich dann schon bald alleine los, wäre auch ne Sensation gewesen, hätte Ali auch noch gut Weiß klargemacht, aber sein Typ ist nicht aufzufinden. Nach kurzer Zeit bekomm ich was am Bahnhof, natürlich wieder über einen Vermittler, diesmal ein kaputter aber harmloser Deutscher. Auch er bekommt seine Belohnung. Wir suchen uns ein paar Sträucher hinterm Bahnhof und ballern  uns das Koks. Meine zwei Pumpen vom Gleis sind längst stumpf, meine Arme von den vergangenen Wochen und Monaten voller Abzesse. Aber dafür ist das Weiße richtig gut. In den letzten Jahren habe ich nicht einmal das Gefühl gehabt daß ich mir zuviel Heroin auf den Löffel gehauen habe. In 80% der Fälle ist der Stoff wohl auch zu mies, als daß es gefährlich  werden könnte. Zum Glück! Bei Koks habe ich dagegen eigentlich jedes Mal Schiß. Mein Herz schlägt immer so schnell, daß ich ständig mit einem Infarkt rechne. Gleichzeitig ist das Gefühl unbeschreiblich geil. Jedenfalls brauche ich auf der Heimfahrt erstmal was Braunes zum Runterkommen. Also ab auf’s Klo…

Als ich spätabends zu Hause ankomme, sind die fünfhundert Schleifen verbraten, der Fünfer- bzw Dreieinhalbbeutel ist platt, das Weiße sowieso. Ich habe Fieber von den ganzen Eiterbeulen an meinen Armen und muss in wenigen Stunden raus zur Frühschicht. Aber drauf geschissen- dafür ist der Tag richtig geil gewesen…!

Hinterlasse einen Kommentar